Tectonic Data Analyzer - Methodik Harnischdaten

Wird ein Gestein Spannungen (Differentialspannungen) ausgesetzt, können sich unter bestimmten Voraussetzungen Störungen, Dehnungsfugen, Klüfte etc. ausbilden. Dieser Teil des Programpaketes dient dazu, diese Spannungen zu rekonstruieren. Der Input-Datensatz beinhaltet die Orientierungen von Störungsflächen oder Harnisch-Flächen und das Versatzlinear auf diesen Flächen (Harnisch-Linear), das in Kombination mit der Versatzrichtung (Versatz) die relative Bewegung des Hangendblockes entlang einer Störung angibt. Für reine Seitenverschiebungen wird für den Versatz-Sinn dextral oder sinistral eingegeben. Während Harnisch-Flächen und Harnisch-Lineare im Gelände einfach zu erheben sind, ist der relative Versatzsinn auch für erfahrene Geologen oft schwer zu bestimmen. Darum können diese Daten mit einem Faktor für die Vertrauenswürdigkeit versehen werden, wie er auch in ähnlichen Programmpaketen üblich ist.

Ziel des Programteils ist

  • die Ermittlung der Orientierung der Hauptnormalspannungen (σ1,2,3), die per Definition zueinander in rechten Winkeln stehen,
  • die Trennung von Datensätzen, die aus unterschiedlichen Hauptnormalspannungen resultieren und
  • fallweise die Ermittlung der relativen Größen der Hauptnormalspannungen (R-Wert).

Dabei werden mehrere Techniken verwendet und fallweise miteinander kombiniert. Folgende Arbeitsschritte werden empfohlen:

  1. Plot von Harnisch-Flächen, Harnisch-Linearen und Versatzrichtung (Versatzdaten im Programpaket). Dies dient der Darstellung der genannten Daten und einer ersten Durchsicht der Daten.
  2. Anwendung der „Dieder Methode“ auf der Basis von Angelier und Mechler (1977). Dabei werden für jeden einzelnen Datensatz Quadranten definiert, innerhalb derer die Hauptnormalspannungen σ1 und σ3 liegen. In der Projektion im Schmid´schen Netz (Lambert Projektion) erscheinen diese Quadranten als „rechtwinkelige Zweiecke“, darum die Bezeichnung „Right Dieder Technik“ (Dieder griechisch für Zweiflächner). Durch Überlagerung dieser Zweiecke wird der Raum für mögliche Orientierungen für σ1,3 eingeengt. ÜberblickGleichzeitig kann abgeschätzt werden, wie viele der verwendeten Daten zu einem möglichen Spannungsfeld passen. Ist die Anzahl der Daten (Feld links) identisch oder nahe dem Maximum der Daten, so sind die Daten mit einem Spannungsfeld kompatibel. Andernfalls sollte man eine Trennung der Datensätze in Erwägung ziehen. Die Ergebnisse der Dieder Methode werden entweder als Isolinien der Maxima und Minima oder als Prozente der Maxima im Vergleich zu den Minima dargestellt und erlauben eine Eingrenzung der Hauptnormalspannungsrichtungen.
  3. Aus jedem Datensatz bestehend aus Harnisch-Fläche, Harnisch-Linear und Versatzrichtung kann eine Kompressionsachse (P) und eine Dehnungsachse (T) ermittelt werden, wenn ein gesteins-spezifischer Parameter, der Winkel der inneren Reibung, zusätzlich angegeben wird. Dieser Winkel liegt üblicherweise zwischen 25° und 35° und kann im Program variiert werden. Die Summe (Maxima und Minima) der P- und T-Achsen gibt die ungefähre Orientierung der größten und kleinsten Hauptnormalspannung (σ1,3) an.
  4. Da bei größeren Datenmengen die Darstellung der Versatzdaten unübersichtlich wird, können die Daten auch als „Hoeppener Diagram“ dargestellt werden (Hoeppener, 1955). Dabei werden die Lineare als „Polpunkte“ dargestellt und die Versatzrichtung als kleiner Pfeil, der die Richtung des Versatzes angibt. Diese Darstellung hat mehrere Vorteile. Größere Datenmanegen werden übersichtlicher dargestellt. Die Pfeilspitzen, welche die Versatzrichtung darstellen, zeigen, in Summe betrachtet, in Richtung σ1. Der größte Nutzen dieser Darstellung ist (a) die Möglichkeit, hypothetische Versatzdaten zu konstruieren (Sliplines) und diese mit den gewonnen Daten zu vergleichen, sowie (b) Daten, die aus unterschiedlichen Spannungsfeldern resultieren, zu trennen.

Konstruktion von Sliplines

Eine von Bott (1959) entwickelte Formel ermöglicht es, für beliebige Richtungen der Hauptnormalspannungen (σ1,2,3) und beliebige Verhältnisse der relativen Spannungsgrößen (R-Wert) auf beliebigen Flächen den „Maximum Resolved Shear Stress“, also das Versatzlinear und den Versatzsinn (Slipline) zu berechnen. Der Vergleich dieser errechneten Sliplines mit den im Gelände gewonnenen Daten ermöglicht eine Abschätzung der Orientierungen und Größenverhältnisse der Hauptnormalspannungen (Wallbrecher et al., 1996). Die hier angewandte Methode basiert auf einem optischen Vergleich der graphisch dargestellten Daten. Andere Programmpakete (etwa WinTensor Programm, Delveaux and Sperner 2003) wenden diese Technik an, um iterativ die Richtungen und Größenverhältnisse der Hauptnormalspannungen numerisch zu ermitteln (iterative inverse Methode, Etchecopar et al., 1981).

Die Arbeitsschritte der hier beschriebenen graphischen Methode sind:

  1. Schätzen sie die Orientierung der Hauptnormalspannungen mit den Programteilen „Isolinien Dieder-Methode“, „Prozente Dieder-Methode“ und „P und T Achsen“ ab. Diese Methoden liefern eine grobe Einschätzung der σ1,2,3 Achsen.
  2. Setzen sie σ1,3 und konstruieren sie die theoretischen Sliplines, die für diese Orientierung zu erwarten sind. Diese theoretischen Sliplines variieren nicht nur mit der Orientierung der Hauptnormalspannungen, sondern auch mit deren relativen Größenverhältnissen (R-Wert). Diesen R-Wert können sie im Programteil „Sliplines“ ändern.
  3. Variieren sie Richtungen der Hauptnormalspannungen (σ1,2,3) und deren Größenverhältnisse (R-Wert) iterativ so lange, bis die gemessenen Daten, dargestellt als Hoeppener-Diagramm, mit den theoretischen Sliplines übereinstimmen und ermitteln sie somit Orientierungen und relative Größenverhältnisse des Spannungsfeldes.

Trennen von Daten

Es ist unwahrscheinlich, dass alle gemessenen Daten mit den theoretischen Sliplines übereinstimmen. Vorausgesetzt die Daten wurden richtig erhoben, kann dies bedeuten, dass mehrere Spannungsfelder zu unterschiedlichen Zeiten wirksam waren und zu unterschiedlichen Strukturen (Harnischflächen und Linearen) geführt haben. Diese unterschiedlichen Spannungsfelder gilt es zu trennen. Folgende Arbeitsschritte werden empfohlen:

  1. Plotten sie die Daten und ermitteln sie die Richtungen der Hauptnormalspannungen unter Anwendung der Programteile „Isolinien Dieder-Methode“, „Prozente Dieder-Methode“ und „P und T Achsen“.
  2. Sehen sie sich „Anzahl der Daten“ sowie „Maximum“ und „Minimum“ der kompatiblen Daten an. Weicht das Maximum deutlich von der Anzahl der Daten ab, ist das als Hinweis für überlagerte Spannungsfelder zu werten.
  3. Plotten sie die Daten in Hoeppener Darstellung.
  4. Konstruieren sie die theoretischen Sliplines und entscheiden sie, welche Daten nicht mit dem Hauptspannungsfeld kompatibel sind. Dabei sind folgende Kriterien hilfreich:
    1. Auf einer Harnischfläche kann es bei einem Spannungsfeld nur ein MRSS, folglich nur eine Richtung des Harnisch-Linears, geben. Existieren 2 oder mehrere unterschiedlich orientierte Harnisch-Lineare, sind einige davon auszuscheiden und einem zweiten Spannungsfeld zuzuordnen.
    2. Einzelne Daten passen keinesfalls zum Haupt-Spannungsfeld, das durch die Sliplines sichtbar gemacht wurde. Dabei können die Versatzrichtungen dem Spannungsfeld widersprechen oder der Verlauf der Sliplines nicht mit diesem Datensatz übereinstimmen. In diesen Fällen bietet das Programm die Möglichkeit, Daten zu splitten.
  5. Mit dem Programteil „Suchen“ können Daten identifiziert werden. Sie werden in einem Fenster angezeigt und können abgewählt werden.
  6. Die Schaltfläche Schalftfläche zum Splitten der Daten ermöglicht es, Daten zu splitten. Dabei werden zusätzlich zur existierenden Lokalität, welche die Originaldaten beinhaltet, 2 weitere Lokalitäten angelegt. Diese sind „Location x.s“ für „selected“ und „Location x.u“ für „unselected“. In ersterer befinden sich die, von inkompatiblen Werten gereinigten Daten, in der zweiten Location die vom originalen Datensatz entfernten Daten.
  7. Diese entfernten Daten können einem gesonderten Spannungsfeld entsprechen und werden, beginnend mit der Anfangsprozedur (Daten Plotten, Dieder-Methode, Hoeppener,….) einer gesonderten Analyse unterzogen.

Literatur

Angélier, J., Mechler, P. 1977. Sur une méthode graphique de recherche des constraintes principles également utisable en tectonique et en seismologie : la méthode des diédres droites. Bull.Soc.Géol.Fr. 19, 1309-1318.

Bott, M.H.P. The mechanics of oblique faulting. Geol. Mag 96, 109-117.

Delvaux, D., Sperner, B. 2003. New aspects of tectonic stress inversion with reference to the TENSOR program.In: New Insights into Structural Interpretation and Modelling. Geological Society, London, Special Publications, 212, 75-100

Etchecopar, A., Vasseur, G., Daigniéres, M. 1981. An inverse problem in microtectonics for the determination of stress tensors from fault striation analyses. J. Struct.Geol. 31, 51-65.

Hoeppener, R. 1955. Tektonik im Schiefergebirge. Geol. Rundsch. 44, 22-58

Wallbrecher, E., Fritz, H., Unzog, W. 1996. Estimation of the shape factor of a palaeostress ellipsoid by comparison with theoretical slickenline patterns and application of an eigenvalue method. Tectonophysics 255, 177-187.